Woher kommt der Schamanismus?

Der Schamanismus entstand wahrscheinlich in Jägerkulturen und drückt die Probleme dieser Kultu­ren aus. Der Schamanismus sollte den Menschen aus seiner wiederkehrenden existentiellen Bedro­hung befreien. Die Menschen erkannten, dass die Welt ihnen einmal freundlich und einmal feindlich gesonnen ist. Darin lag die Grundlage der schamanischen Tätigkeit, sie hatte die Aufgabe Kontakt mit den „guten“ Jenseitsmächten aufzunehmen, um von ihnen Heilmittel für bestimmte konkrete Bedrängnisse, wie etwa Unfruchtbarkeit oder Krankheiten zu erbitten. Menschen, die in ihrer Gesellschaft anders waren, wurden Scha­manen. Sie sonderten sich von der übrigen Gemeinschaft durch intensive spirituelle Erlebnisse ab.

Ist der Schamanismus eine Religion?

Schamanismus ist keine Religion, sondern ein Element oder Teilbereich innerhalb vieler Religio­nen. Er ist eine Technik der Ekstase, die von einer gewissen Elite durchgeführt wird und bildet in gewisser Weise die Mystik der betreffenden Religion.

Der Tengrismus ist die älteste schamanische Religion Zentralasiens. Diese Religion unterscheidet sich von allen anderen, da nicht der Glaube, sondern die Erfahrung im Mittelpunkt steht. Die Scha­manen beten nicht nur zu den Göttern, sondern suchen diese persönlich auf und tauschen sich mit ihnen aus. Zum Tengrismus bekennen sich nur Nomadenvölker. Sobald sie sesshaft wurden, nahmen sie die örtliche Religion an. Der Schamanismus ist in Sibirien und Zentralasien besonders verwurzelt. In diesem ganzen riesigen Bereich Zentral- und Nordasiens hat das magisch-religiöse Leben seinen Mittelpunkt im Schama­nen.

Aber auch in Nord- und Südamerika, Indonesien oder Ozeanien hat man ähnliche religi­ös-magische Phänomene beobachtet.

„Klassisch“ ist der Schamanismus dann, wenn die Kultur keiner Schriftreligion anhängt.

In Mexiko und ganz Südamerika hat der Schamanismus im Schatten der katholischen Kirche überlebt und wird bis heute synkretistisch ausgeübt.
Immer wenn eine Priesterkaste in einer Hochkultur entstand, verdrängte sie den Schamanismus, da sie ein Monopol auf den Kontakt oder das Wissen über das Jenseits und die Götterwelt für sich beanspruchte. Nach dem Untergang der altamerikanischen Reiche besannen sich viele Menschen auf ihre schamanisch Tradition. Spanische Missionare und die Inquisition versuchten Geisterglaube und Heiler zu bekämpfen. Sie hatten aber wenig Erfolg, denn heute existiert neben dem katholi­schen Glauben, der Glaube an Inti, Pachamama, der Mutter Erde und ihre Götter- und Geisterwelt, ne­beneinander.

Anders in Europa. Dort wurde der Schamanismus von der Inquisition vollkommen eliminiert. Erhalten blieb er in ganz kleinen Räumen am Rande, wie in Lappland oder in Ungarn. Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts besinnt man sich auf die europäische Tradition.

Die wichtigste Beobachtung ist wohl, dass kein religiöses und magisches Leben des betreffenden Volkes um den Schamanismus entsteht. Ganz im Gegenteil lebt der Schamanismus mit anderen Formen von Religion zusammen (auch dem Christentum in Lateinamerika und Asien).

Hat Schamanismus etwas mit Magie zu tun?

Der Schama­ne ist der Spezialist einer Trance, in der seine Seele den Körper zu Himmel- und Unterweltfahrten verlässt. Darin unterscheidet sich der Schamane von Magiern und Medizinmännern. Der entschei­dende Unterschied zwischen Schamanismus und Magie ist der, dass der Schamane nur mit dem Ein­verständnis seines Auftraggebers handelt. Seine Intenti­on ist selbstloses Helfen und er arbeitet nur mit helfenden Spirits.
Wo immer man Schamanismus in der Welt antrifft, ähneln sich die Praktiken, trotz verschiedener traditioneller Gesellschaften. Die grundsätzliche Übereinstimmung aller schamanischen Methoden deutet an, dass diese Menschen durch Versuche und Irrtum zu denselben Schlüssen gekommen sind. Diese grundlegenden kulturübergreifenden Prinzipien der schamanischen Praxis bilden die Basis dessen, was Michael Harner als Core-Schamanismus bezeichnet. D.h. dass im Kern die welt­weiten schamanischen Methoden gleich sind.

Welche Aufgabe hat der Schamane?

Der Schamane hat die Aufgabe, besondere Aufmerksamkeit auf die Seelen der von Krankheit be­troffenen Menschen und Tiere zu haben und zur Lösung der jeweiligen Probleme in Kontakt mit den Jenseitsmächten zu treten. Als Voraussetzung muss der Schamane von den Geistern als Vermittler akzeptiert werden. Dies zeigen sie durch seine Wahl und die Berufung. Während der Initiation macht der Schamane eine grundlegende Verwandlung durch, die ihm eine „Doppelnatur“, halb Geistwesen, halb Mensch verleiht und ihm erst vollends befähigt, sich gleichermaßen im Diesseits wie im Jenseits zu bewegen.

Tierbezüge spielen im Schamanismus eine auffallende Rolle: Die „Vorgeburt“ erfolgt durch die „Tiermutter“, den späteren Hauptschutzspirit des Schamanen; die helfenden Spirits treten weltweit überwiegend in Tiergestalt auf und der Schamane selbst verwandelt sich während der Trance in Tie­re oder Vögel, je nachdem, wohin die Reise führt. Trommel und Rassel dienen dazu, sich in Trance zu versetzen und so in die anderen Welten zu reisen.

Was ist die nichtalltägliche Wirklichkeit?

Die nichtalltägliche Wirklichkeit (NAW) ist die spirituelle Welt, oder der spirituelle Aspekt der materiellen Welt.
In der nichtalltäglichen Wirklichkeit sind wir Menschen viel stärker miteinander verbunden. Wir sind weniger durch die Geographie getrennt, sondern können von hier aus an jeden Ort der Erde rei­sen. Daher kann man mit jedem Menschen auf der Welt in der nichtalltäglichen Wirklichkeit in Kontakt treten, was auch erklärt, warum die schamanischen Methoden sich über Kontinente und Jahrhunderte gleichen, da diese Barrieren in der nichtalltäglichen Wirklichkeit nicht existieren.

Schamanismus setzt eine dualistische Weltanschauung voraus.

In der alltäglichen Wirklichkeit leben die vergänglichen Pflanzen, Tiere und Menschen und in der nichtalltäglichen Wirklichkeit leben die Seelen der verstorbenen Lebewesen und die unsterblichen Spirits.

  • Der Kosmos baut sich aus einer Mittel-, einer Ober- und einer Unterwelt auf.
  • Die Mittelwelt hat eine materielle und eine spirituelle Wirklichkeit, während die Ober- und Unterwelt rein spirituell sind.

Der Mensch verfügt über eine „Freiseele“ mit der er in der Lage ist, sich in allen Welten zu bewegen. Die Fähigkeit dies zu tun ist die schamanische Methode.

Welches Weltbild hatte der traditionelle Schamanismus?

Schamanismus in archaischen nordasiatischen Völkern bezieht sich auf Heilung, Fruchtbarkeit, Seelengeleit von Verstorbenen und den Jagder­folg. Traditioneller Schamanismus hat ein voraufgeklärtes Weltbild. Die Erde wird als runde Scheibe ge­sehen, die rings vom Weltenmeer, einem Strom und Gebirge umgeben ist. Der Himmel ist entweder wie bei Hirtennomadenvölkern eine gewaltiges Zeltdach mit mehreren vernähten Hauptnähten (die Milchstraße) oder eine kuppelförmige Festung. Die Himmelskuppel ruht auf den Rändern der Erd­scheibe, hebt und senkt sich aber so, dass die Winde und Zugvögel einströmen und die Welt wieder verlassen können. Sterne sind Löcher im Himmelsgewölbe, durch die das Licht der hellen Oberwelt dringt. Der Polarstern ist ein großer Nagel in der Mitte oder das Loch für die Weltachse oder den Weltenbaum, dessen Wurzeln auf dem Boden der Unterwelt ruhen und die Erdscheibe im Erdnabel durchstoßen und so Unter- Mittel- und Oberwelt miteinander verbindet. Sterne und Sternbilder krei­sen um den Polarstern. Sie sind am Weltbaum durch unsichtbare Bänder gefestigt. Weltachse und Weltbaum sind für Schamanen und Geistmächte die Verbindungswege zwischen den Welten. Bei man­chen sibirischen Völkern findet sich die Vorstellung eines gewaltigen Rentieres an der Stelle des Weltenbaumes, das mit seinem Geweih den Himmel stützt, und an dem Sonne und Monde aufge­hängt sind.

Welches Weltbild hat der moderne westliche Schamanismus?

Der moderne Schamanismus schließt sich natürlich dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Weltbild an. Aber es ist wichtig die alten Vorstellungen zu kennen, da sie einem in der NAW genauso erscheinen mögen. Mir scheint, dass in der NAW genau dieser archaischer Weltenaufbau zutrifft.
Der traditionelle Schamanismus bezieht sich auf Heilung, Fruchtbarkeit, Seelengeleit von Verstorbenen und den Jagderfolg. Da keine Technik zur Lösung dieser Aspekte zur Verfügung stand, entwickelten diese Kulturen höchste spirituelle Kenntnisse und Fähigkeiten um diese fundamentalen Probleme zu lösen. Wenn wir heute den Schamanismus nutzen wollen dann betrachten wir die Aspekte, auf die die Moderne trotz der Naturwissenschaf-ten keine Antworten findet.
Natürlich gibt es Probleme im modernen Gesundheitswesen, aber im Grunde genommen haben wir alles im Griff. Unsere Chirurgen vollbringen wahre Transplantationswunder, viele Infektionskrankheiten sind praktisch ausgerottet – aber nicht wegen der schamanischen Bekämpfung der Pockengeister, sondern wegen des konsequenten Impfens und gegen Covid-19 wurde in nur 10 Monaten ein Impfstoff entwickelt.
Als Heiler ist der Schamane ein atavistisches Relikt und in der modernen Gesellschaft absolut entbehrlich.

Heilung

Der Schamanismus kann aber etwas, was die moderne Medizin nicht kann. Nämlich mit der spirituellen Welt arbeiten. Er kann die helfenden Geister bitten die Seele des Menschen zu heilen. Heilt die Seele, so heilt auch der Körper.
Die Medizin und die Psychologie ist in der modernen Welt sehr stark entwickelt. Aber es gibt wenig Therapieformen die wirklich heilen. (Chirurgie, Antibiotika, Profilaxen, Impfungen, Chemotherapie u.a.) Und erfolgt eine körperliche Heilung kann die Krankheit jederzeit zurückkehren. Ein überwiegender Teil der Medizin dient der Symptom- und Schmerzbehandlung. Ein spiritueller Aspekt wird bei der hochgradig technisierten Schulmedizin komplett verleugnet. Sie ist durch Spezialistentum und Ökonomisierung geprägt. Der schulmedizinisch ausgebildete Arzt konzentriert sich in einem hohen Maß auf Morphologie sowie auf die Messung objektivierbarer technischer Befunde. Die körperlichen Symptome werden bekämpft, ohne deren Bedeutung und energetisch-informatorischen Aspekt ausreichend zu würdigen und ohne ein Verständnis für das Wesen der Natur und das Geheimnis des Lebens zu entwickeln.

Fruchtbarkeit

Ein Kinderwunsch kommt in der westlichen Welt häufig erst sehr spät. Erst nachdem man in seiner Karriere gefestigt ist. Aus schamanischer Sicht werden die Kinderseelen durch die Feen im Weltenbaum gehütet und dann zur neuen Inkarnation geleitet. Diese Prozesse geschehen tagtäglich ohne schamanisches Zutun. Der Schamane kann aber schauen ob solch eine Inkarnation stattfindet, also ein Kinderwunsch dabei ist sich zu erfüllen. In besonderen Fällen kann er auch um eine Kinderseele bitten und so Kinderlosen Paaren bei der Zeugung helfen. Der Schamane begleitet den Geburtsprozess, sieht Komplikationen und bitte die Geister zum Hilfe und Unterstützung.

Sterben

Das Sterben ist aus unserer Gesellschaft verbannt worden. Heute stirbt man in Einrichtungen und selten im Kreis seiner Angehörigen. Der Mensch wird, sowie beim Sterben, als nach seinem Tod oft alleingelassen. Durch Glaubenssätze die den Tod mit dem Nichts assoziieren haben viele Sterbende große Angst und werden dabei noch alleine gelassen. Der Schamane tröstet den Sterbenden und die Angehörigen mit seinem klaren Wissen um das Jenseits und vermittelt, dass es sich nur um einen Übergang in ein anderes Leben handelt. Wenn der Sterbende es wünscht, kann der Schamane ihm den Ort zeigen, zu dem er gehen wird und ihm so die Angst nehmen. Dabei begleitet er ihn bei einer schamanischen Reise, mit dem festen Versprechen des Sterbenden, von dieser Reise zurückzukehren, da das Sterben natürlich geschehen muss. Beim Sterbevorgang geleitet der Schamane die Seele des Verstorbenen zu dem Ort im Jenseits, der für ihn bestimmt ist.

Jagderfolg

Übertragen geht es um ökonomischen- und gesellschaftlichen Erfolg. Gewinnmaximierung steht beim heutigen Wirtschaften im Vordergrund. Überproduktion und anschließende Vernichtung der überschüssigen Güter ist gewinnbringender als eine bedarfsorientierte und nachhaltige Produktion und jeder gesellschaftlicher Aspekt, von der Kita bis zum Seniorenheim wird ökonomisiert. Ohne Spiritualität sind diese Aspekte „seelenlos“ Eine rationale Gerätemedizin, eine unausgewogene Fortpflanzung zwischen Kindermangel und Überbevölkerung, ein einsames liebloses Sterben und eine profitmaximierende ressourcenvernichtende Ökonomie sind, weiß Gott, keine erstrebenswerte Ziele.
Seit Jahrtausende hat der Schamanismus Techniken und Antworten auf diese grundlegenden Fragen entwickelt und die Rückbesinnung auf spirituelle Aspekte ist die Aufgabe des modernen europäischen und nordamerikanischen Schamanismus. Insbesondere kann der Schamanismus diesen Aspekten „Seele“ einhauchen.

Wurde der Schamanismus wissenschaftlich erforscht?

Ethnologen haben Ende des 19. Jahrhunderts durch Forschungsberichte das uralte Wissen des Scha­manismus wieder ins Bewusstsein der westlichen Welt gebracht. Eine interessante historische Ar­beit ist die „Beschreibung aller Nationen des Russischen Reiches“ von Johann Gottlieb Georgi, die 1776 in Petersburg erschienen ist. Die erste Monographie kam aber erst 1846 von Schtchukin: „Der Scha­manismus bei den sibirischen Völkern“ heraus. Von diesem Zeitpunkt an setzte, vor allem in Russ­land, die Erforschung des Schamanismus ein.

Nahezu Zeitgleich schienen entsprechende Untersu­chungen über die nordamerikanischen Indianer.
Was im westlichen Europa ganz verschwunden war, trat in den USA durch ein aufkommendes Inter­esse an den Ureinwohnern der USA und dem wissenschaftlichen Kontakt mit Naturvölkern in das allgemeine Bewusstsein. Russi­sche Wissenschaftler beschäftigten sich seit der Gründung der So­wjet Union mit dem Schamanis­mus auf ihrem Staatsgebiet, wobei etliche Beobachtungen durch die Brille ihrer kommunistischen Ideologie verzerrt und als archaisches Klassen oder Kastensystem diffamiert wurde.

Mehrere wissenschaftliche Disziplinen haben sich seit des 20 Jahrhunderts der Erforschung des Schamanismus angenommen. So die Soziologie, die Ethnologie, die Religionswissenschaften und die Psychologie.

Die Soziologie beschäftigte sich vor allem mit der sozialen Funktion der Scha­manen, mit ihrer Rolle in der Gliederung der Gesellschaft und dem Verhältnis zwischen religiösen und politischen Oberhäuptern.

Die Ethnologie beschäftigte sich mit dem Leben und Traditionen des Schamanismus im kulturellem Kontext. Sie beschrieb die Schamanentracht und Schamanentrom­meln oder die Sitzungen, Lieder und deren Texte, Tänze und Zeremonien, sowie den Gebrauch von Narkotika während der Sitzungen.

Die Psychologie hat weniger beobachtend geforscht, als dem Schamanismus Paradigmen ihrer eigenen Theorien übergestülpt, denn zunächst galten Schamanen als geistesgestört und wahrscheinlich schizophren, da sie behaupteten Geister zu sehen, mit ihnen zu sprechen und sogar für Heilarbeit einsetzen zu können. Die amerikanische Ethnologin Margaret Lantis (1906 – 2006) schlug vor, einen Zusammenhang zwischen Schamanismus und dem Krankheitsbild der Schizophrenie zu sehen.

Sind Schamanen verrückt?

Vordergründig ist das auch nicht von der Hand zu weisen aber dennoch falsch. Schamanen erleben Prozesse, die auch von Schizophrenen erlebt werden können. So zum Beispiel die Umwandlungen ihrer Persön­lichkeit durch einen Wiedergeburtsprozess. Sie fühlen sich absterben und anschließend, durch eine erneute Geburt, ins Leben zurückkehren. Sie erleben, wie ihr Körper bis auf die Knochen in Stücke zerlegt und dann wieder zusammengesetzt wird. Weiter erleben sie Metamorphosen in tierische Existenzen und fühlen sich als Wolf herumstreifen oder als Adler fliegen. Typisch für Schizophrene sind Flugerlebnisse, indem sie den Blick und die Arme nach oben erheben, sich vom Boden lösen und zum Himmel auffliegen können und dabei in der Lage sind, die wunderbarsten Dinge bis weit in den Kosmos hinein zu bewirken. Und nicht zuletzt zählt auch der Geisterglaube zu den Sympto­men der Schizophrenie.
Jedoch beherrschen Schamanen im Gegensatz zu Schizophrenen die „Symptome“, bedienen sich ihrer und schütteln sie gleichsam nach ihrer schamanischen Tätigkeit wieder ab. Schamanen sehr lebens­tüchtige und gesunde Menschen. Sie haben meist eine höhere psychische Widerstandskraft und Selbstkontrolle. Gerade die Schamanen werden von ihrem Volk als die eigentlichen Spezialisten zur Heilung psychischer Leiden angesehen.

Welche Haltung hat die Wissenschaft heute zum Schamanismus?

In der heutigen Wissenschaft wird der Schamanismus als historisches Überbleibsel durchaus mit Respekt gesehen. Es gibt eine Fülle deskriptiver ethnographischer Literatur zum Schamanismus und es begannen sich bei diesen „ge­schichtslosen“ Völkern bestimmte „Kraftlinien“ abzuzeichnen und wo man nur „Naturvölker“, „Primitive“ und „Wilde“ zu finden gewohnt war, wurde mehr und mehr ihre Geschichte und Kultur wahrgenommen.

Das was Schamanen jedoch praktizierten, mutet der modernen Wissenschaft aber mys­tisch an und es wird für töricht gehalten, wieder auf ihrem Niveau zu praktizieren.

Aber was die Wissenschaft nicht tut, ist den Schamanismus aus eigener Erfahrung zu betrachten. Schamanismus wird nur von außen beobachtet und beschrieben, wodurch die Wissenschaft ihr ratio­nales Paradigma der messbaren Beobachtungen nicht ablegen kann.

Wissenschaftler wurden zu Schamanen!

Die Ethnologie begann in der zweiten Hälfte den 20. Jahrhunderts mit der „teilnehmenden Beob­achtung“ um  das Verhalten und die Gepflogenheiten indigener Völker zu verstehen. Einige haben von den indigenen Völkern die schamanische Technik gelernt. Und so betraten Mitte der 1960er Jahre die Anthropologen Carlos Castaneda (1925 – 1998) und Michael Harner (1929 – 2018) die schamanische Welt. Hier reihen sich Anthropologen und Autoren ein, wie Alberto Villoldo und auch der deutsche Ethnologe Christian Rätsch.

Viele solcher Wissenschaftler, die selbst schamanische Methoden praktiziert haben, um sie zu erforschen, haben ihren Ruf und ihre Reputation aufs Spiel gesetzt und so manche Karriere ende­te auch dadurch. Doch verdienen diese Pioniere hohen Respekt für ihren Mut, aus der stoischen Lehrmeinung auszubrechen, die eine spirituelle Welt komplett ver­leugnet.

Durch die wissenschaftliche Forschung wurde regionaler Schamanismus vergleichbar und  weltwei­te Ähnlichkeiten wurden festgestellt, sowie dass isolierte indigene Gruppen einen klassischen Scha­manismus bewahrt haben.  Es wurde deutlich, dass die mystischen Erlebnisse der archaischen Ge­sellschaften auch von einer höheren Kulturstufe aus erlebbar sind. Das bedeutet, dass für jeden Menschen, egal in welcher Kulturstufe er lebt und geprägt wurde, archaisch-mystische Erlebnisse möglich sind.

Warum sollten wir heutzutage Schamanismus praktizieren?

Beim modernen Schamanismus geht es nun darum, traditionelle schamanische Methoden in die Moderne zu transportieren um altes Wissen wieder zu entdecken und nutzbar zu machen.
Der mo­derne Schamanismus findet „danach“ statt. Nach der Aufklärung und nach der Entwicklung moder­ner Wissenschaft, moderner Medizin, moderner Hirnforschung, der Psychoanalyse, der Relativitäts­theorie und der Theorie und Beweisführung der Quantenverschränkung.

Der moderne Schamanis­mus findet in postmodernen freiheitlichen Gesellschaften statt, nach den weltweiten Demokratisie­rungswellen und während religiöser Relativierungsprozessen.

Ist das zu belächeln?

Schließlich voll­zieht der Schamane aufwühlende Rituale. Er verfällt in Ekstase, heilt offensichtlich Unheilbares mit übernatürli­chen Kräften und bringt den Göttern Opfer dar.
Insbesondere Wissenschaftler die sich mit der  Quantenmechanik beschäftigen ste­hen am Übergang zur Spiritualität und niemand kennt sich in der spirituellen Welt besser aus, als Schamanen. Der Schamane macht sich auf den Weg, sucht den direkten Kontakt mit den Geistern und reist mit seiner Seele durch spirituelle Welten.
Wenn die moderne Wissenschaft zu dem Sprung ansetzt die spirituel­le Welt zu entdecken und zu erforschen, ist der Schamanismus der best mögliche und vielverspre­chendste Ansprechpartner.

Die spirituelle Welt mit dem heutigen Wissensstand zu erschließen bietet unvorstellbare Potentiale.

Arbeitet der Schamane wirklich mit Geistern? Die gibt es doch gar nicht!

Schamanisch zu arbeiten bedeutet mit Hilfe der Geister in der NAW zu arbei­ten. Arbeitet man ohne Geister, dann arbeitet man nicht schamanisch.

Meine These zu den Geistern ist, dass sie Teile der kosmischen Ener­gie sind. Niemand kann diese enorme Kraft beherrschen, daher erscheinen sie in unserer Wahrneh­mung als kleine oder auch große „Energiepakete“ in Form von Geistern, mit deren Hilfe wir wohldo­siert auf die kosmische Energie, einschließlich ihres Wissens zugreifen können. Diese „Energiepake­te“ können sowohl hel­fen wie auch schaden. Das Krafttier ist ein solches Energiepaket.
Daher erscheinen im traditionellen Schamanismus Krankheiten als Geistwe­sen. Der Schamane muss diese Geistwesen kennen, ja mehr noch, er muss ein Blutsverwandter wer­den. Der Schamane erlebt im sibirischen Schamanismus, dass die Krankheitsgeister ein Stück seines Körpers verspeisen. Übersetzt heißt das, der Schamane wird selber ein Teil dieses Energie­paketes und so kann er die schädliche Energie in heilende Energie umwandeln. Er kann nur Krank­heiten heilen, deren Geistwesen er kennt. Aus dieser naturwissenschaftlichen Sicht wird es logisch, dass er nur Energien umwandeln kann die „Teil“ von ihm sind.

Nach traditioneller schamanischer Auffassung werden Krankheiten nicht generell von bösen Geistern verursacht, sondern von ganz bestimmten Geistern, die als ihre speziellen Erreger gelten. Der Schama­ne kann sie nur bekämpfen, wenn er weiß wie sie aussehen und wo und wie man sie erreichen kann.

„Nach dem Glauben sibirischer Völker leben sie in der Unterwelt, in verschiedenen, teils weit von­einander entfernten Bereichen.“

Nach ethnologischen Quellen hausen die Geistwesen, die für Magenleiden verantwortlich sind, in einem mit Raureif überzogenem Zelt. Die „Mutter der Masern“ bewohnt ein blutrotes Zelt an einem Fluss und ist selber am ganzen Leib rot. Sie trägt Kleider mit blaurotem Schachbrettmuster. Die Geistwesen, die Pocken und Geisteskrankheiten verursachten, leben in Zelten mit zerrissenen Pla­nen.

Der Geist der Geburtshilfe ist eine alte Frau, die in einem Zelt wohnt, dass mit Fischernetzen be­deckt ist. Sie trägt abgetragene Schuhe und lediglich ein Oberkleid.

Diese Quellen sind hilfreich da man im modernen Schamanismus einen Anhaltspunkt hat wie man in der NAW mit den Krankheiten umgeht. Aber die Quellenlage ist so dünn da schamanische Völker keine Schriftvölker sind oder waren und die Berichte die Ethnologen erhal­ten haben, reichen nicht aus um jeden Geist zu jeder Krankheit zu kennen. Daher habe selbst Reisen in die Unterwelt unter­nommen, mit der Absicht die Geistwesen der Krankheiten kennen zu lernen.

(Quelle: Klaus E.Müller: Schamanismus 1997)